Richard Ringer (LC Rehlingen) lief ein weiteres außerordentlich starkes Meisterschaftsrennen. Der Europameister von München holte in der zweiten Hälfte des Rennens stark auf und war nach 2:09:18 als Zwölfter und damit drittbester Europäer im Ziel. Eine hervorragende Leistung zeigte auch Samuel Fitwi (Silvesterlauf Trier), der in 2:09:50 auf Rang 15 lief. Großes Pech hatte dagegen der deutsche Rekordhalter Amanal Petros (SCC Berlin), der in den letzten Wochen vor dem Marathon unter einer Corona-Infektion litt, sein Trainingslager in Kenia früher als geplant beenden musste und offensichtlich nicht fit war. Geschwächt von der Erkrankung, gab der Halbmarathon-EM-Dritte nach 32 km auf. Im Nachhinein wäre es sicher besser gewesen, wenn er den Startplatz an Ersatzläufer Hendrik Pfeiffer (TK Hannover) abgegeben hätte.
Kipchoge denkt nach Aufgabe offenbar an Karriere-Ende
Einige Weltklasseläufer kamen bei warmen, sonnigen Wetterbedingungen nicht ins Ziel. Darunter war der Olympia-Zweite von Sapporo, Abdi Nageeye (Niederlande), und der 39-jährige Titelverteidiger Eliud Kipchoge: Der erfolgreichste Marathonläufer aller Zeiten hatte keine Chance, als erster Läufer der Sportgeschichte zum dritten Mal den olympischen Marathon zu gewinnen. Der Kenianer fiel schon nach rund 17 km bei der ersten Steigung zurück, fasste sich mehrmals an die Seite und gab das Rennen später kurz nach 30 km auf. Abebe Bikila (Äthiopien) und Waldemar Cierpinski (Deutschland) sind neben Eliud Kipchoge die einzigen Läufer, die zweimal den Marathon bei den Olympischen Spielen gewonnen haben. Möglicherweise wird Eliud Kipchoge seine einmalige Karriere beenden. „Ich weiß nicht wie es weitergeht. Ich werde zu Hause meine 21 Jahre lange Karriere, während der ich auf höchstem Niveau gelaufen bin, reflektieren. Ich muss mich weiter entwickeln und mich auch anderweitig einbringen“, sagte Eliud Kipchoge, der erstmals in seiner Karriere in einem Marathonlauf nicht ins Ziel kam.
Äthiopiens Lauf-Legende Kenenisa Bekele spielte in diesem Rennen keine Rolle. Der 42-Jährige fiel frühzeitig schon kurz nach Kilometer 15 zurück. Am Ende lief er auf Rang 39 nach 2:12:24 ins Ziel. Ob der dreimalige Langstrecken-Olympiasieger (5.000 und 10.000 m) seine Karriere fortsetzt, ist sicherlich auch fraglich.
Tamirat Tola bergauf nicht zu halten
In beeindruckender Manier war Tamirat Tola vor zwei Jahren in Eugene zum WM-Titel gelaufen. Ein Jahr später kam er in extremer Hitze bei der WM in Budapest nicht ins Ziel. Doch in Paris war es am Sonnabend längst nicht so heiß wie 2023 in Ungarn, und Tamirat Tola dominierte dieses Meisterschafts-Rennen so wie in den USA 2022. Er war es, der schon auf der ersten der beiden langen Bergauf-Passagen das Tempo forcierte und den Ausreißer Eyob Faniel (Italien) einholte. Nach einer Halbmarathon-Zwischenzeit von 64:51 Minuten wurde das Tempo an der Spitze kurzzeitig etwas ruhiger, so dass die Verfolgergruppe an das Führungs-Trio - neben Tola und Faniel lief noch der US-Amerikaner Connor Mantz - wieder herankam.
Bei Kilometer 25 (1:16:08) liefen 15 Läufer in der lang gezogenen Spitzengruppe. Darunter war auch Samuel Fitwi, der wie schon beim Dubai-Marathon im Januar (5. in 2:06:27) ein mutiges Rennen lief. Richard Ringer lag zu diesem Zeitpunkt 36 Sekunden hinter der Spitze, hatte sich aber bereits auf Rang 18 nach vorne geschoben. Dagegen hatte Amanal Petros hier schon einen Rückstand von 2:05 Minuten, nachdem er ungefähr bei Kilometer 18 den Anschluss verloren hatte.
Auf dem Rückweg von Versailles nach Paris folgte der zweite lange Anstieg dieses Olympia-Marathons. Wieder war es Tamirat Tola, der das Tempo so hoch hielt, dass keiner ihm folgen konnte. Die Gruppe löste sich auf und als der Äthiopier bei Kilometer 29 den Hügel erklommen hatte und auch die Bergab-Passage ohne Probleme meisterte, war eine Vorentscheidung gefallen. Nach 35 km (1:45:14) hatte Tamirat Tola, der bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 schon eine Bronzemedaille über 10.000 m gewonnen hatte, seinen Vorsprung auf 18 Sekunden ausgebaut. Hinter ihm kämpften sein Landsmann Deresa Geleta, Bashir Abdi und Benson Kipruto um die Medaillen. Auf Rang 18 zurückgefallen war zu diesem Zeitpunkt Samuel Fitwi (1:47:00), der kurz darauf von Richard Ringer überholt wurde.
Während Tamirat Tola dem größten Sieg seiner Karriere entgegen lief, setzte sich Bashir Abdi rund zwei Kilometer vor dem Ziel auf dem eindrucksvollen Esplanade des Invalides von seinen Konkurrenten ab und sicherte sich die Silbermedaille. „Das ist das Größte was ich in meinem Leben erreicht habe. Es war mein Ziel, zu gewinnen - ich hatte mich gut vorbereitet“, sagte Tamirat Tola, der auch Sisay Lemma dankte, dass er seinen Startplatz abgetreten hatte. Lemma hatte im April eindrucksvoll den hügeligen Boston-Marathon gewonnen und galt als ein Topfavorit für Olympia bevor er sich verletzte. „Sisay sagte mir, es sei angesichts seiner jetzigen Verfassung besser, wenn ich starten würde. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir diese Gelegenheit gegeben hat. Er hat einen Anteil an diesem Sieg“, erklärte Tamirat Tola.
Richard Ringer: „Ich bin super zufrieden“
Zwei Jahre nach seinem sensationellen EM-Sieg in München zeigte Richard Ringer ein weiteres Top-Meisterschaftsrennen. „Ich bin super zufrieden. Ich habe mit Platz zwölf das Ziel erreicht, das ich mir vorgestellt hatte. Von mir aus hätte es noch ein wenig länger sein können, dann hätte ich vielleicht noch mein Traumziel, Platz acht, erreicht.Das Rennen hier zeigt auch, was in mir steckt, wenn man davon ausgeht, dass man hier auf dem schwierigen Kurs etwa vier Minuten hinter seiner Bestzeit zurückbleibt“, sagte der 35-jährige Richard Ringer gegenüber „laufen.de". „Ich habe gedacht, dass das Rennen langsamer wird und damit gerechnet, dass man mit 2:10 in Richtung der Medaillen läuft. Wenn die Temperaturen noch höher gewesen wären, hätte ich vielleicht noch weiter vor laufen können. Heute war es auf jeden Fall ein Rennen mit Köpfchen.“
Samuel Fitwi konnte sehr zufrieden sein mit seiner olympischen Premiere. „Ich bin lange vorne mitgelaufen, denn mein Ziel war ein Platz unter den Top acht. Aber als es zwischen Kilometer 29 und 30 bergauf ging, musste ich abreißen lassen. Das hier ist natürlich nicht vergleichbar mit Berlin oder Valencia, die Strecke ist schwieriger und es ist ein Meisterschaftsrennen“, sagte Samuel Fitwi. „Für mich war das heute erst mein vierter Marathon. Ich bin sehr zufrieden, auch wenn vielleicht noch ein wenig mehr möglich gewesen wäre. Hier ins Ziel zu laufen, war ein unbeschreibliches Gefühl.“
„Vor drei Wochen hatte ich eine Corona-Infektion. Die hat mich leider total zurückgeworfen. Denn ich war in einer sehr, sehr guten Form. Mein Ziel wäre ein Platz unter den Top fünf gewesen. Aber es ging nicht, der Körper war total zerstört. Ich bin extra vor zwei Wochen aus Kenia nach Deutschland gekommen, um mich ärztlich behandeln zu lassen. Ich bin bei Kilometer 32 ausgestiegen, weil es einfach nicht mehr ging. Das war nicht mein Ziel, ich wollte etwas anderes erreichen. Aber als Profi-Läufer muss ich das akzeptieren und nach vorne schauen. Das waren nicht meine letzten Olympischen Spiele“, sagte Amanal Petros. Sofern er sich richtig erholt, wird er sicherlich noch bei einem Herbst-Marathon an den Start gehen.
Ergebnisse:
1. Tamirat Tola ETH 2:06:26
2. Bashir Abdi BEL 2:06:47
3. Benson Kipruto KEN 2:07:00
4. Emile Cairess GBR 2:07:29
5. Deresa Geleta ETH 2:07:31
6. Akira Akasaki JPN 2:07:32
7. Tebello Ramakongoana LES 2:07:58
8. Conner Mantz USA 2:08:12
9. Clayton Young USA 2:08:44
10. Samson Amare ERI 2:08:56
11. Elroy Gelant RSA 2:09:07
12. Richard Ringer GER 2:09:18
13. Suguru Osako JPN 2:09:25
14. Ibrahim Hassan DJI 2:09:31
15. Samuel Fitwi GER 2:09:50
Text: Jörg Wenig / Race News Service
Fotos: World Athletics/Christel Saneh, World Athletics/Mattia Ozbot, www.photorun.net