Ausgerechnet Gudaf Tsegay, die am Abend zuvor noch das 10.000-m-Finale gelaufen war, schob sich unmittelbar nach dem Start des 1.500-m-Finales an die Spitze und lief ein Tempo wie in einem 800-m-Lauf. Nach 2:03,03 Minuten hatte sie die 800-m-Marke erreicht und bewegte sich damit im Bereich des Weltrekordes. Doch wie in vielen anderen Finals auf der Bahn ging auch diese schwer nachzuvollziehende Taktik der Äthiopierinnen nicht auf. Weltrekordlerin Faith Kipyegon (3:49,04) ließ sich nicht abschütteln und Gudaf Tsegay, die zuvor nicht nur die 10.000 m sondern auch die 5.000 m gelaufen war und somit das sechste Rennen binnen gut einer Woche lief, brach eingangs der letzten Runde komplett ein. Eine der besten Läuferinnen der Welt wurde praktisch komplett verheizt und gewann in Paris am Ende gar keine Medaille.
Acht Läuferinnen waren eingangs der letzten Runde noch im Rennen um einen Podest-Platz. An der Spitze allerdings war Faith Kipyegon nicht zu schlagen. In dem superschnellen Rennen setzte sich die 30-Jährige in der olympischen Rekordzeit von 3:51,29 Minuten durch. Dies ist die elftschnellste je gelaufene Zeit. Die schon im Saisonverlauf sehr starke Australierin Jessica Hull gewann mit 3:52,56 die Silbermedaille vor der eigentlichen Überraschung dieses Finales: Die Britin Georgia Bell lief sensationell auf den Bronze-Rang und verbesserte sich um fast vier Sekunden auf die britische Rekordzeit von 3:52,62. Sie hatte niemand auf der Rechnung.
Als Vierte folgte die beste Äthiopierin in diesem Finale, Diribe Welteji, in immer noch extrem schnellen 3:52,75. Die fünftplatzierte Britin Laura Muir rannte mit 3:53,37 ebenso eine persönliche Bestzeit. Das immerhin hat Gudaf Tsegay unfreiwillig erreicht: Durch ihre Tempoarbeit entwickelte sich das bezogen auf die ersten fünf Athletinnen schnellste 1.500-m-Rennen aller Zeiten. „Es war eine Woche mit vielen Emotionen“, sagte Faith Kipyegon, die über 5.000 m knapp von ihrer Landsfrau Beatrice Chebet bezwungen worden war. „Heute bin ich sehr froh und stolz, zum dritten Mal in Folge das olympische 1.500-Meter-Gold gewonnen zu haben.“
Nele Weßel (Eintracht Frankfurt) bekam kurzfristig noch eine Startchance in Paris, hatte dann aber im Hoffnungslauf keine Chance. Hier belegte sie Rang neun in 4:07,22. Nur die ersten drei kamen ins Halbfinale.
Jakob Ingebrigtsen meldet sich wieder zurück
Dass Jakob Ingebrigtsen als Titelverteidiger und Europarekordler über 1.500 m keine Medaille gewann, gehört zu den großen Überraschungen der Leichtathletik-Wettbwerbe bei diesen Olympischen Spielen. Doch wie schon bei den vergangenen beiden Weltmeisterschaften, wo er jeweils mit Silber über 1.500 m vorlieb nehmen musste, meldete sich der Norweger über 5.000 m als Siegläufer zurück. Dass das Tempo in diesem überladenen Finale - aufgrund eines Massen-Sturzes im Halbfinale wurden sechs Athleten zusätzlich in den Endlauf gesetzt, so dass 22 Läufer am Start waren - lange Zeit sehr langsam war (5:27,9 bei 2.000 m), kam Jakob Ingebrigtsen entgegen.
Erst nachdem gut die Hälfte der Distanz gelaufen war, sorgten die Äthiopier Addisu Yihune und Biniam Mehary an der Spitze für etwas mehr Tempo. Doch Für Jakob Ingebrigtsen bedeutete dies keine Gefahr. In der letzten Runde holte er einen kleinen Rückstand auf, 200 m vor dem Ziel übernahm er die Spitze von Hagos Gebrhiwet (Äthiopien) und am Ende siegte er souverän in 13:13,66 Minuten. Ronald Kwemoi (Kenia) wurde in 13:15,04 Zweiter vor Grant Fisher (USA/13:15,13), der wie schon über 10.000 m Bronze gewann.
Der aus Süd-Sudan stammende Schweizer Dominic Lobalu lief auf Rang vier in 13:15,27. Er war bei Olympia noch nicht für die Schweiz startberechtigt, konnte aber für das internationale Flüchtlings-Team teilnehmen. Deutsche Läufer hatten sich über 5.000 m nicht für Olympia qualifiziert.
Emmanuel Wanyonyi gewinnt sehr schnelles 800-m-Finale
Im 800-m-Finale setzte sich der Kenianer Emmanuel Wanyonyi nach 200 Metern an die Spitze und hielt das Tempo dabei enorm hoch. Der Franzose Gabriel Tual lief lange Zeit hinter ihm, doch in der Schlussphase gingen ihm die Kräfte aus. Dafür kam der amtierende Weltmeister Marco Arop auf der Zielgerade noch stark auf. Es sah so aus, als ob der Kanadier den Kenianer noch überholen würde, doch irgendwie fand Wanyonyi 50 Meter vor dem Ziel noch einen Extra-Gang und rettete sich schließlich mit der Winzigkeit von einer Hundertstelsekunde Vorsprung ins Ziel.
Mit seiner Siegzeit von 1:41,19 Minuten wurde Wanyonyi zum fünftschnellsten 800-m-Läufer aller Zeiten. Arop lief mit 1:41,20 einen nord-amerikanischen Kontinentalrekord und sortierte sich in der Alltime-Liste auf Platz sechs ein. Der im Vorfeld der Spiele sehr starke Djamel Sedjati (Algerien) konnte seiner Favoritenrolle nicht gerecht werden. Er lag zwischenzeitlich zu weit hinten im Feld und kam am Ende nicht mehr ganz nach vorne. In 1:41,50 wurde er aber noch Dritter vor Bryce Hoppel, der mit 1:41,67 einen US-Rekord lief.
Über 800 m waren in Paris keine deutschen Läufer am Start.
Text: Jörg Wenig / Race News Service
Fotos: World Athletics / Dan Vernon